Projekte
Eine Projektwoche im Rahmen von „LOOKING BACK for FUTURE“
Versteckt, gesucht, verschwunden? Auf den Spuren jüdischen Lebens in Leipzig gestern und heute – Reflexionen
Was bedeutet es, als jüdisches Kind in Leipzig zu leben? Wie war das früher, wie ist es heute? Diesen Fragen widmeten sich sieben Schülerinnen und Schüler der Klasse 10 des DPFA-Regenbogen-Gymnasiums Zwenkau während ihrer Projektwoche im Januar 2017.
Natürlich hatte man zuvor im Unterricht und in der Öffentlichkeit schon viel über das Schicksal der Juden, v.a. während des Nationalsozialismus‘, gehört. Doch ist damit tatsächlich schon ein umfassender Blick auf jüdische Lebensweise, Kultur und Geschichte gelungen?
Dass dieses komplexe Thema natürlich auch in einer Woche nur ansatzweise erkundet werden kann, diese Erfahrung mussten die Jugendlichen schnell machen. Doch über verschiedene Perspektiven erarbeiteten sie sich einen vertiefenden und vielfältigeren Blick auf die Problematik.
So erstellten sie zum Beispiel Personenprofile jüdischer Bürger aus Leipzig. Dazu beschäftigten sie sich zunächst anhand der Materialien der Ephraim-Carlebach-Stiftung mit der Geschichte der Juden im 19. Jahrhundert, im Nationalsozialismus und in der DDR. Die erworbenen Erkenntnisse wurden dann auf eigens angefertigten großen Körpersilhouetten präsentiert. Auf der Rückseite dieser Silhouetten entwarfen die Schüler fiktive Biografien, die anschaulich darstellten, wie die Menschen mit den Erfahrungen der Zeit umgehen konnten bzw. mussten, was sie gedacht, gefühlt, erlebt haben.
Auch wurde ein Blick auf die jüdische Vergangenheit des Schul- und Heimatortes Zwenkau geworfen. Mit Hilfe des Ortschronisten Herrn Wünschmann erkundeten die Schüler die wenigen vor Ort auffindbaren Quellen und erfuhren so über das Schicksal der Ärztefamilie Rabe, die mitunter sehr stark unter den Anfeindungen und dem Terror der ihnen einst wohlgesinnten Mitbürger leiden mussten. Die Söhne der Familie wurden zur Zwangsarbeit in Lager deportiert, die jüdische Mutter überlebte Theresienstadt. Außerdem „begegneten“ die Schüler der Geschichte des Fabrikanten Nussenow, der seine Fabrik verlor und vor den Nationalsozialisten nach Frankreich flüchtete.
Besonders interessant empfanden die Schüler schließlich eine Exkursion nach Leipzig. Dort erkundeten sie zunächst eigenständig Orte, an den Spuren jüdischer Vergangenheit zu finden waren. Neben der ehemaligen Israelitischen Schule in Leipzig, in der sich heute die Deutsche Zentralbücherei für Blinde befindet, und dem Ariowitsch-Haus besuchten sie natürlich die Gedenkstätte an der früheren Großen Gemeindesynagoge in der Gottschedstraße. Dabei stellten sie fest, dass eigentlich nur an wenigen Stellen, dafür aber durchaus eindrucksvoll, an die jüdische Vergangenheit von Leipzig erinnert wird. Andere Orte wie die Judenhäuser in der Funkenburgstraße oder die Synagogen in der Färberstraße sind nicht mehr als solche zu erkennen. Interessant war die folgende Diskussion, in der sich die Schülerinnen und Schüler mit Frau Plowinski, der Projektleiterin der Ephraim-Carlebach-Stiftung darüber austauschten, wie Erinnerungskultur für junge Leute gestaltet werden kann, um tatsächlich zum Denken anzuregen.
Nach der Erkundung des jüdischen Leipzig begegneten die Schüler in der Synagoge dem Gemeinderabbiner Zsólt Balla, der sehr anschaulich beschrieb, wie orthodoxe Juden heute in Leipzig leben, welche Herausforderungen, aber auch Chancen ein religiöses Leben mit sich bringt. Der Rabbiner stellte sich nicht nur den vielen Fragen der Schüler, sondern las, oder vielmehr sang aus der Thora, so dass die Jugendlichen eine Vorstellung vom jüdischen Gottesdienst erhielten. Auch die Gespräche mit dem jüdischen Mitarbeiter der Stiftung, Herrn Tabakmann und dem Inhaber eines kleinen Ladens mit koscheren Lebensmitteln, Herrn Kerzhner, machten den Schülern deutlich, wo die Unterschiede, aber auch die Parallelen zum eigenen Leben liegen. Vor allem diese unmittelbaren Begegnungen mit Menschen einer anderen Religionsgemeinschaft haben großen Eindruck bei den Schülerinnen und Schülern hinterlassen.
Den Abschluss des einwöchigen Projekts bildete schließlich die Vorbereitung einer Ausstellung für den Tag der offenen Tür und die Zubereitung eines gemeinsamen Essens. Dass die Jugendlichen dabei nicht koscher kochen konnten, wurde ihnen spätestens am Vortag klar, als sie sich intensiv über die strengen Speisevorschriften bei der Beschaffung und Zubereitung koscherer Lebensmittel informieren konnten. Lecker waren die süßsaure Kohlsuppe, der Hackbraten mit Kascha Varnischkes an Israelischen oder Rote-Bete-Salat und die Hamantaschen – zubereitet nach alten jüdischen Rezepten – dennoch, die am Tagesende verkostet wurden. Und dass es tatsächlich manchmal auch etwas einfacher geht, hatten sie durch Frau Plowinski schon am Tage zuvor erfahren, die ihnen nämlich koscheres Essen in Form von Coca Cola und Snickers als Pausensnack servierte.
Dass die Schüler intensive Begegnungen mit jüdischer Kultur, Geschichte und Gegenwart erlebt haben, dokumentierte die Ausstellung zum Tag der offenen Tür am 28. Januar 2017. Diese lud die Besucher ein, in das komplexe Thema einzutauchen. Zu erleben waren interaktive Stadterkundungen mittels eines großen Stadtplanes von Leipzig, auf dem historische und gegenwärtige Orte jüdischen Lebens zuzuordnen waren. Ebenso gab es ein Quiz zu koscheren Speisen. Die Ortsansässigen konnten sich durch Litfaßsäulen und Presseecken über die jüdische Vergangenheit von Zwenkau informieren. Die Ephraim-Carlebach-Stiftung stellte großformatige Fotografien und Schautafeln zur jüdischen Festkultur zur Verfügung, die sehr anschaulich zeigten, wie jüdisches Leben ganz konkret aussieht. Neben einem kleinen Purimfest konnten die Besucher schließlich noch die Körpersilhouetten erleben, die jüdisches Leben sehr anschaulich präsentierten.
Mit der gelungenen Ausstellung ging eine sehr intensive Woche zu Ende. Die Tage waren arbeitsintensiv, vor allem aber intensiv durch die neu gewonnenen Erfahrungen, Erkenntnisse und Begegnungen. Wie danken allen, vor allem aber Frau Plowinsky und Frau Hauptmann von der Ephraim-Carlebach-Stiftung, für die großzügige und unkomplizierte Unterstützung bei der Bearbeitung dieses interessanten Themas.
Susann Sittel – Felix, Lehrerin